Leihmutterschaft: ein Kind auf Bestellung – Ausbeutung oder Segen?
Ein Kind um jeden Preis? Während des Lockdowns kochte die Debatte über Leihmutterschaft wieder hoch. Euronews-Reporterin Valérie Gauriat traf Paare, die diese umstrittene Option als letzten Ausweg zur Familiengründung wählten. Thema in Unreported Europe.
Ein Kind um jeden Preis?
Ein Video, das im April in sozialen Netzwerken veröffentlicht wurden, löste weltweit Empörung aus. Es zeigt schreiende Babys in der Warteschleife, die von Leihmüttern in der Ukraine geboren wurden. Sie konnten aufgrund des Lockdowns und der daraus folgenden Reisebeschränkungen nicht von ihren Wunscheltern abgeholt werden.
„Das sind Babys aus den USA, Italien, Spanien, China, Frankreich, Deutschland, sowie aus Bulgarien, Rumänien, Österreich, Mexiko und Portugal“, erklärt eine Betreuerin.
Die Eltern konnten ihre Babys erst nach mehreren Wochen oder sogar Monaten abholen. Das Video wurde von BioTexCom gedreht, einer ukrainischen Agentur für medizinisch unterstützte Fortpflanzung. Es hat die Kontroverse über kommerzielle Leihmutterschaft neu entfacht.
Debatte um kommerzielle Leihmutterschaft
Die euronews-Reporterin Valérie Gauriat besuchte die Firma in Kiew. Dort bewerben sich täglich potentielle Leihmütter. Die Agentur registriert mehr als 300 Geburten pro Jahr.
Der Besitzer preist seine Agentur an: Sie sei die einzige in Europa, die den Kunden Ergebnisse garantiere:
„Manche Paare wählen das Geschlecht des Babys aus“, sagt Albert Tochilovsky, Besitzer & Direktor BioTexCom. „In vielen Ländern der Europäischen Union ist das verboten, aber hier haben wir keine Grenzen. Wir hoffen, dass das Gesetz noch ausgefeiltere Technologien wie Crispr erlaubt, mit der man die Augenfarbe oder andere Eigenschaften des Kindes bestimmen kann.“
Dem Mann wurden oft skrupellose Praktiken nachgesagt, es gab bereits mehrere gerichtliche Untersuchungen. Er wischt jede Kritik vom Tisch:
„Viele Länder haben die In-vitro-Fertilisation verboten. Und jetzt heißt es, dass bis 2025 jedes dritte Kind aus dem Reagenzglas kommt. Wir treten in die postindustrielle Wirtschaft ein. Leihmutterschaft, (Computer)- Chips, die mit dem Gehirn verbunden sind: Das ist die Zukunft.“
Leihmutterschaft ist in acht europäischen Ländern verboten. In anderen wird sie aufgrund fehlender Gesetze toleriert. In Großbritannien und Griechenland ist sie auf nichtkommerzieller Basis legal. Zusammen mit Russland ist die Ukraine eines der wenigen Länder, in denen die kommerzielle Leihmutterschaft legal ist.
Ukraine: Reiseziel für kommerzielle Leihmutterschaft
Ein Reiseziel, für das auf Leihmutterschaft spezialisierte Agenturen werben, da es einfacher zu erreichen und vor allem preiswerter ist als die USA, das Referenzland für internationale Leihmutterschaft auf einem globalen Markt, der auf mehr als 5 Milliarden US-Dollar geschätzt wird. In den vergangenen fünf Jahren wurden in der Ukraine mehr als 4000 Kinder von Leihmüttern geboren, 90 Prozent davon für ausländische Eltern.
Ein Markt, von dem der ukrainische Kinderrechtsbeauftragte sagt, dass Frauen ausgebeutet und ihre Rechte sowie die Rechte der Kinder verletzt werden. Zwar ist Leihmutterschaft in der Ukraine legal, doch dem Ombudsmann zufolge ist sie schlecht reguliert und anfällig für Missstände bei den florierenden Agenturen und Vermittlern.
„Die Ukraine ist zu einem Supermarkt für Leihmutterschaft geworden“, so Mykola Kuleba, Ombudsmann Kinderrechte des Präsidenten der Ukraine. „Das Kind ist zu einer Ware geworden, die Frau ist ein Inkubator, sie muss dieses Produkt für jemanden austragen. Wenn Kundinnen während der Schwangerschaft entscheiden, dass sie das Kind nicht mehr wollen, muss die Leihmutter abtreiben: Wenn sie das nicht macht, muss sie ihren Verdienst zurückzahlen. Wenn sie das Kind zur Welt bringt und die Kunden es ihr nicht abnehmen wollen, muss sie das Kind in ein Waisenhaus geben, weil sie keinerlei Rechte hat.“
Die Sicht einer Leihmutter
Die euronews-Reporterin macht sich auf den Weg in die Stadt Winnyzja. Sie liegt etwa 300 Kilometer von Kiew entfernt.
Dort lebt Olga Kicena, Sporttrainerin und Bodybuilding-Meisterin. Sie ist die Leihmutter eines kleinen Jungen gewesen, den sie im Juli für ein chinesisches Ehepaar auf die Welt brachte. Sie war die einzige der von euronews kontaktierten Leihmüttern, die sich öffentlich und nicht anonym für ein Gespräch bereit erklärte. Zu keinem Zeitpunkt habe sie sich ausgenutzt gefühlt, und die medizinische Nachsorge sei tadellos gewesen, erzählt sie. Die Leihmutterschaft war für sie eine Möglichkeit, ihr Leben und das ihrer 13-jährigen Tochter zu verbessern:.
„Ich habe diese Entscheidung getroffen, um bei meiner Mutter ausziehen zu können, um ein kleines Haus kaufen zu können“, erzählt sie. „Sonst hätte ich sehr lange hier oder im Ausland arbeiten müssen. Ich wollte meine Tochter nicht zurücklassen, weder bei ihrer Großmutter noch bei sonst jemandem. Deshalb habe ich nicht lange gezögert, ein Programm für Leihmutterschaft anzufangen. Ich habe in einem Jahr genug Geld verdient, um mir ein kleines Haus kaufen zu können. Am Anfang habe ich es natürlich wegen des Geldes getan. Aber als ich schwanger wurde, wurde mir klar, dass ich eine Familie für andere Menschen schuf. Meine Einstellung hat sich geändert. Geld ist gut, aber jemandem das Leben zu schenken ist noch besser.“
Aber ist es nicht schwierig, das Baby nach neun Monaten Schwangerschaft wegzugeben?
Olga Kicena sagt: „Mir war von Anfang an klar, dass ich das Kind abgeben musste. Deshalb hatte ich während der ganzen Schwangerschaft keine mütterlichen Gefühle, keine Emotionen. Ich habe selbst ein Kind, das ich liebe und für das ich Gefühle habe. Ich hatte nur ein Gefühl der Verantwortung. Dass ich das Kind einer anderen Person für neun Monate austrage und dass ich es dann abgeben muss. Es wühlt einen natürlich sehr auf, wenn man dieses kleine Baby sieht. Das ist sehr bewegend. Aber mir war klar, dass dieses Kind jemand anderem gehört. Dass er einen Vater und eine Mutter hat.“
Ihre Tochter Alisa fügt an: „Meine Mutter hat ein neues Leben geschaffen. Ich finde das großartig, ich sehe das positiv. Ja, ich bin stolz auf meine Mama.“
Die Sicht eines Wunscheltern-Paares
Wenige Tage nach diesem Gespräch konnten die Eltern des von Olga ausgetragenen Kindes endlich ihren Sohn in die Arme schließen. Sie saßen aufgrund des Lockdowns zwei Monate in Wuhan fest.
„Wir sind ihr zu großem Dank verpflichtet“, sagt Zhu, der Wunschvater. „Und wir nennen sie liebevolle Mama, nicht Leihmutter. Sie hat uns geholfen, das zu erreichen, was wir ohne sie nicht hätten tun können. Ein Kind zu haben. Wir sind sehr, sehr dankbar.“
Frankreich: der steinige Weg zum Wunschkind
Die Reporterin reist weiter nach Frankreich. Dort haben sich viele Paare für eine Leihmutterschaft in der Ukraine entschieden. Celine und Maxence Roussel, beide sind Immobilienmakler, sind seit 10 Jahren verheiratet. Nachdem klar war, dass Celine steril ist, versuchte das Paar viele Jahre lang, durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung ein Kind zu bekommen. Nach zahlreichen Versuchen der Insemination und In-vitro-Fertilisation entschieden sie sich für die Leihmutterschaft. Als letztes Mittel reiste das Paar diesen Sommer in die Ukraine, um ein Verfahren bei einer Leihmutter-Agentur einzuleiten, die ihrer Aussage nach seriös ist und Sicherheit bietet, sowohl für sie als auch für die Schwangere.
„Man darf nicht glauben, dass man nur zahlen muss, egal in welcher Situation, man zahlt und am Ende hat man ein Kind“, so Maxence Roussel. „So funktioniert das ganz und gar nicht. Man muss ein echtes Problem und medizinische Gründe haben, um die Dienste einer Leihmutter in der Ukraine in Anspruch nehmen zu können.“
Und seine Frau Celine meint: „Man kauft keine Leihmutter, man kauft keine Dienstleistung. Es gibt echte medizinische Gründe, die überprüft werden. Mein Mann, der das Sperma gibt, wird gesundheitlich untersucht. Und ich brauche ein ärztliches Attest, das meine Sterilität, meine Gebärunfähigkeit bestätigt. Ich habe das Gefühl, dass die Leute manchmal glauben, dass man jemandem das Kind stiehlt. Das ist völlig falsch. Weil es gar nicht das Kind der Frau ist, die das Kind gebärt, der sogenannten Leihmutter. Sie trägt das Kind aus, aber sie ist nicht die Mutter, denn es ist nicht ihr genetisches Kind. Es sind entweder die Eizellen der eigentlichen Mutter, wenn möglich, oder von einer Spenderin, wenn nötig. Aber es sind nicht ihre Eizellen.“
Das unbedingte Wunschkind
Das Paar hat sich verschuldet, um seinen Traum zu verwirklichen: Das unbedingte Wunschkind wird sie rund 70.000 Euro kosten. Aber weder der Preis noch das Gesetz hätten sie davon abbringen können. In ihren Augen sollte Leihmutterschaft legalisiert werden, genau wie andere medizinisch unterstützte Reproduktionstechniken.
„Für mich ist die Leihmutterschaft eine Reproduktionstechnik wie jede andere auch“, so Celine Roussel. „Es gibt Frauen, die ohne Gebärmutter oder mit Gebärmutter-Anomalien geboren werden. Sie haben keine Wahl. Warum sollten sie bestraft werden, wenn anderen Paaren, Frauen mit Eizell-Qualitätsproblemen oder Männern mit Spermien-Qualitätsproblemen, geholfen wird?“
Un ihr Mann Maxence meint: „Wir sprechen über die Lebenspläne der Menschen. Wir sprechen über ein kleines Wunder, 30 Zentimeter lang, ein bisschen gößer, das das Leben vieler Paare verändert, jeden Tag. Warum sollen wir das nicht erleben dürfen? Das soll mir mal jemand erklären.“
Kompromisslose Gegner der Leihmutterschaft
Gegner der Leihmutterschaft lassen keine Kompromisse gelten. Insbesondere Aktivisten der „Manif pour tous“ – Bewegung prangern einen Markt an, bei dem Frauen körperlich ausgebeutet werden und die traditionelle Abstammung in Frage gestellt wird. Diese Argumente werden von einem Teil der französischen Intellektuellen geteilt.
René Frydman ist der berühmteste Gynäkologe Frankreichs. Der Spezialist für medizinisch assistierte Reproduktion kämpfte als wissenschaftlicher Vater des ersten Kindes, das vor 38 Jahren durch In-vitro-Fertilisation in Frankreich geboren wurde, für das Recht von alleinstehenden Frauen und lesbischen Paaren auf dieses Verfahren. Aber Leihmutterschaft ist für ihn eine rote Linie:
„Für einen Arzt wie mich, der Tausende Babys entbunden und diesen Moment gesehen und erlebt hat, ist die Mutter diejenige, die entbindet. Außerdem geht es um ein kommerzielles System, es gibt eine Organisation, Mittelsmänner und Ausbeutung. Ich ziehe es vor, meine Bemühungen auf die Verbesserung von Reproduktions-Techniken, der Medizin und der Forschung zu konzentrieren, damit es weniger Unfruchtbarkeit gibt.“ Aber die Medizin kann und sollte nicht alles richten, so Frydmann: „Man darf die Genetik nicht vergessen. Wir haben nicht immer eine Antwort, und wir können nicht über alle Regeln hinausgehen, allen eine Antwort geben.40 Prozent der Paare, die zu uns kommen, werden nicht das Kind bekommen, das sie sich wünschen. Wir müssen auch akzeptieren, dass wir nicht alles um jeden Preis tun können. Wir forschen. Zum Beispiel entwickeln wir Gebärmutter-Transplantationen. Das ist nicht für alle eine Lösung. Es ist kompliziert. Woher kommt die Gebärmutter? Wer spendet sie? Es ist nicht einfach, aber zumindest gibt es keinen kommerziellen Handel.“
Frankreichs Gesetzentwurf zur Bioethik
Im neuen französischen Gesetzentwurf zur Bioethik, über den kürzlich in der Nationalversammlung abgestimmt wurde, steht eine Rücknahme des Verbots der Leihmutterschaft nicht zur Debatte. Ein neuer Änderungsantrag hingegen bestätigt die Verpflichtung für sogenannte Wunscheltern, die keine biologische Verbindung zu ihrem Kind haben, das im Ausland geboren wurde, ein Adoptionsverfahren zu durchlaufen, um als Eltern anerkannt zu werden.
Dagegen kämpfen Sylvie und Dominique Mennesson seit 19 Jahren. So alt sind ihre Zwillingstöchter, die in den USA von einer Leihmutter geboren wurden. Eine erste Übertragung der US-amerikanischen Geburtsurkunden der Kinder in französisches Recht, die beide als rechtliche Eltern der Zwillinge anerkennt, würde damit ungültig. Sylvie Mennesson, die sich aufgrund ihrer Sterilität für eine Eizellspende entschied, wird nicht als Mutter anerkannt, es sei denn, sie adoptiert die Zwillinge. Das will das Ehepaar nicht akzeptieren.
„Das ist eine Diskriminierung in Bezug auf Mann und Frau, Vater und Mutter“, meint Sylvie Mennesson. „Zu sagen, dass die Mutter auf jeden Fall die Gebärende sein muss, das ist eine antiquierte Auffassung, die vor Jahrhunderten galt. Das ist eine Verherrlichung der Geburt zum Nachteil der Kindererziehung, des Kinderwunsches – am Ursprung der Geburt beteiligt zu sein, die sogenannte Wunschmutter zu sein. Und das war für uns nicht akzeptabel.“
Es bedurfte jahrelanger Gerichtsverfahren und eines Urteils gegen Frankreich durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, bis Frankreichs höchstes Gericht die Eheleute endlich als rechtmäßige Eltern anerkannte. Ein Fall wie aus dem Lehrbuch. Dutzende sogenannter Wunscheltern haben seitdem von der vollständigen Umschreibung der Geburtsurkunden ihrer im Ausland durch Leihmutterschaft geborenen Kinder profitiert. Aber der neue Gesetzesentwurf könnte die Adoption wieder obligatorisch machen.
Dominique Mennesson sagt: „Heute wird immer noch versucht, Kinder zu bestrafen, um die Leute Glauben zu machen, es würde die Franzosen davon abhalten, ins Ausland zu gehen.“
„Es ist auch nicht normal, ins Ausland gehen zu müssen, um Kinder zu bekommen.“
Sylvie Mennesson – Wunschmutter
Seine Frau fügt an: „Man denkt, es ist eine Abschreckung. Aber es schreckt überhaupt nicht ab. Denn Menschen, die Kinder haben wollen, sind bereit, jegliches Hindernis zu nehmen, alles dafür zu tun. Es geht darum, die Rechte der Kinder zu verteidigen. Es ist nicht normal, dass sie diskriminiert werden. Unsere Kinder werden seit Jahren als Geisterkinder bezeichnet, – als die Geister der Republik – . Sie waren da, aber sie existierten nicht offiziell, sie existierten nirgendwo in den Geburtsregistern. Das ist ein komplizierter Alltag. Es ist auch nicht normal, ins Ausland gehen zu müssen, um Kinder zu bekommen. Frankreich könnte es hier zu Hause sehr gut organisieren – auf einer freiwilligen, altruistischen Basis. Um all diese Gauner, diese Wucherer, die von wer weiß woher kommen und Paare um alles betrügen, zu stoppen.“
Leihmutterschaft: ein menschliches Abenteuer
Dominique Mennesson: „Die Botschaft, die wir seit jeher vermitteln wollen, lautet: Leihmutterschaft ist ein menschliches Abenteuer. Es ist eine Sache der Beziehungen. Wir bleiben mit der wunderbaren Frau, die uns geholfen hat, sehr gut befreundet, weil sie jemand ist, der in unserem Leben wirklich zählt. Durch ihre Geste. Und wir bedeuten ihr auch sehr viel, weil wir gemeinsam etwas Außergewöhnliches geleistet haben.“
Ein Gefühl, das von den beiden Töchtern geteilt wird: Sie unterstützen den Kampf ihrer Eltern, Leihmutterschaft zu legalisieren:
„Die Tatsache, dass ich von einer Leihmutter geboren wurde, stört mich eigentlich nicht. Aber uns hat gestört, dass meine Eltern immer in einen Gerichtsstreit verwickelt waren, immer irgendwelche Termine deswegen hatten, immer Zeit mit Papierkram vergeudeten, anstatt sie mit uns zu verbringen. Das hat nie aufgehört“, so Tochter Valentina. „Es ist anstrengend für sie, sie stehen an der Front. Und für uns, weil wir sie erschöpft, wütend und frustriert erleben. Die Leihmutterschaft ist eine Lösung, wenn man sie in einem Land durchführt, in dem sie geregelt ist und beaufsichtigt wird. Sie bringt Glück in eine Familie, die keine Kinder bekommen kann. Es ist eine Lösung. Es ist keine Wahl.“
Das traditionelle Elternschaft-Modell überdenken
Auf Initiative der Psychoanalytikerin und Bioethik-Spezialistin Geneviève Delaisi de Parseval plädierte eine Gruppe von etwa hundert französischen Persönlichkeiten für einen besseren Schutz aller an der Schwangerschaft Beteiligten, sowohl der Kinder als auch der Erwachsenen. Es sei notwendig, das traditionelle Modell der Elternschaft zu überdenken, sagt sie:
„Unsere Gesellschaft verändert sich ständig, Fortpflanzung wird immer schwieriger. Gleichzeitig wollen alle Kinder. Man kann ohne Kinder leben, aber jeder will ein Kind. Wir müssen die Menschen dabei unterstützen, dass diese Kinder unter den bestmöglichen Bedingungen geboren werden. Das sind keine trivialen Geschichten, sie sind komplex, aber nicht kompliziert. Es gibt sehr viel zu bedenken. Ich glaube, für ein Kind zählt am meisten, dass es gewollt ist, dass es respektiert wird, dass es als Mensch respektiert wird, und dass jeder in der Geschichte respektiert wird, auch die Leihmütter. Dass es keine Verwechslung zwischen der Keimzelle und dem menschlichen Subjekt gibt. Der Psychoanalytiker kümmert sich nicht um die Keimzellen, für ihn zählt der Mensch.“
„Ich glaube, für ein Kind zählt am meisten, dass es gewollt ist, dass es respektiert wird.“
Geneviève Delaisi de Parseval – Psychoanalytikerin
Italien: ein gleichgeschlechtliches Paar erzählt seine Geschichte
Die Reportage-Reise endet in Italien. Dort ist Leihmutterschaft ebenfalls verboten. Andrea Simone und Gianni Tofanelli leben mit ihrer sechsjährigen Tochter Anna in Mailand. Noch bevor die standesamtliche Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in ihrem Land zugelassen wurde, heirateten sie 2013 in den USA. Dort konnten sie mithilfe einer Leihmutter eine Familie gründen.
Andrea Simone erzählt: „Für uns war es die Krönung unserer Liebe. Wenn mich jemand nach dem schönsten Tag in meinem Leben fragen würde, würde ich sagen, der 2. August 2014, der Tag, an dem sie geboren wurde. Damit erfüllte sich der Wunsch, in jeder Hinsicht eine Familie zu sein. Ich wollte ein Kind, er wollte ein Kind. Es wurden zwei Embryonen eingepflanzt, es hätten Zwillinge werden können. Aber es kam anders. Wenn wir etwas jünger wären, würde wir vielleicht noch ein Kind wollen.“
Das Paar musste ein Jahr darum streiten, bis 2018 die US-amerikanische Geburtsurkunde ihrer Tochter übertragen wurde, in der sie beide als Annas rechtliche Eltern anerkannt werden:
„Für uns gab es ein glückliches Ende“, sagt Gianni Tofanelli. „Leider gibt es immer noch Urteile mit ähnlichen Situationen wie der unseren, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überprüft werden, die derzeit eingefroren sind. Das heißt, es gibt Kinder, die zwei Elternteile haben, im wirklichen Leben, in ihrem sozialen Leben, in den Augen ihrer Schulkameraden, der Nachbarn, von allen, aber sie sind rechtlich nicht anerkannt.“
Anna kennt ihre Familiengeschichte, sie kennt den Namen der Frau, die sie geboren hat. Sie hat keine Probleme damit, zwei Papas zu haben.
„Zwei Männer und eine Wiege“ – so lautet der Titel des Buches, das Andrea Simone geschrieben hat. Um die Denkweise zu ändern, aber auch um Annas willen, sagt er:
„Ich möchte, dass sie eines Tages in der Lage ist, ihre Geschichte zu lesen und zu verstehen. Ich denke, das Wichtigste ist, ihr so viel Liebe wie möglich zu geben. Unsere wichtigste Botschaft ist, dass wir eine Familie voller Liebe sind.“
Gianni Tofanelli: „Ich möchte hinzufügen, dass Kinder wie das unsere sehr stark gewollt sind. Natürlich können natürlich geborene Kinder auch auf die gleiche Weise geliebt werden. Aber Kinder wie das unsere werden aus einer sehr festen Entscheidung heraus geboren, die Tag für Tag bestätigt wird. Es gibt keinen Zweifel, die Kraft, die Hingabe ist maximal. Ich kann es nicht anders ausdrücken.“
Quelle:
https://de.euronews.com/2020/09/25/leihmutterschaft-ein-kind-auf-bestellung-ausbeutung-oder-segen