So wollen Staaten die Geburtenrate steigern

photo: Infografik WELT
 
Die Regierung in Rom will junge Paare zum Kinderkriegen bewegen: Für ein drittes Baby soll es Ackerland geben. Was sich andere Staaten überlegen, um die Vergreisung ihrer Bevölkerung zu stoppen. Von China bis Ungarn.

Ausgerechnet in Italien, dem Land der „Bambini“, werden kaum noch Kinder geboren. Die populistische Regierung in Rom will das ändern: Wer zwischen 2019 und 2021 ein drittes Kind bekommt, soll Ackerland vom Staat bekommen, 20 Jahre in kostenloser Pacht. Dazu gibt es 200.000 Euro als zinsfreien Baukredit, sofern das neue Eigenheim an die zu bewirtschaftende Fläche angrenzt. Der Plan ist Teil des italienischen, in Brüssel heftig umstrittenen Haushaltsgesetzes für 2019.

Für die Aktion „Ackerland fürs dritte Kind“ würden 50 Prozent aller staatlichen Ackerflächen sowie 50 Prozent brachliegender Flächen im Süden Italiens freigegeben. Damit solle der „gefährliche Trend, dass die Italiener keinen Nachwuchs mehr bekommen“, aufgehalten, möglichst sogar umgekehrt werden, begründete Landwirtschaftsminister Gian Marco Centinaio seinen Vorstoß

Auch in anderen Ländern ist die Zahl der Geburten rückläufig. Doch während Regierungen wie in Ungarn große finanzielle Anstrengungen unternehmen, um Eltern die Entscheidung für Kinder zu erleichtern, sind dagegen Familien in Spanien etwa weitgehend auf sich allein gestellt. Ein Überblick. Constanze Reuscher
 

„Demografischer Winter“ in Frankreich

Frankreich galt jahrzehntelang als das Vorzeigeland. Doch seit einigen Jahren geht es mit der Geburtenrate auch bei den Nachbarn bergab. Mit aktuell 1,8 Kindern pro Französin sprechen Wissenschaftler von einem „demografischen Winter“. Dafür verantwortlich gemacht wird vor allem die Familienpolitik unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande.

In seiner Amtszeit hatte er zwei Mal den sogenannten Familienquotienten, den Steuervorteil für Kinder, gesenkt. Auch das bedingungslose Kindergeld ist abgeschafft worden, das es für Besserverdienende seither nicht mehr gibt. Familienlobbys berechnen die Ersparnisse des Staates auf knapp vier Milliarden Euro seit 2014.

Demografen zweifeln, ob es allein daran liegt, und sprechen von einem „allgemeinen Vertrauensverlust“, an dem vor allem die seit 2014 gestiegene Arbeitslosigkeit schuld ist, aber auch der teure Wohnraum in Metropolen. Mehr Eltern äußern den Wunsch, ihre Kinder länger selbst betreuen zu wollen.

Aber in Sachen Elternzeit fahren die Franzosen nach wie vor schlecht: Wer ein Jahr aussetzt, bekommt nur eine Monatspauschale von 380 Euro. Es fehlen rund 200.000 Krippenplätze im Land. Die „Karte für kinderreiche Familien“, die Paaren mit drei Kindern deutlich verbilligte Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln ermöglicht, scheint als Anreiz nicht mehr zu genügen. Martina Meister
 

Finanzielle Hilfen für Eltern in China

Chinas Regierung hatte 2015 ihre 35-jährige erzwungene Ein-Kind-Politik beendet. Sie erlaubte Paaren, zwei Kinder zu bekommen. Doch der erwünschte Effekt trat nicht ein. 2017 fiel die Geburtenrate wieder. Wer ein zweites Kind haben wollte, hatte es meist bereits 2016 in die Welt gesetzt. Aber viele schreckten auch die hohen Kosten ab.

Mehrere Provinzen versuchen es seither mit finanzieller Förderung. So plant Liaoning, einer der drei alten, von Bevölkerungsrückgang betroffenen Stahl- und Kohlestandorte in Nordostchina, bis 2030 die Einführung von Steuererleichterungen, sozialer Wohlfahrt, Wohnungsbeihilfen, staatlich subventionierten Krippen- und Kindergartenplätzen.

Die Provinz darf aber nur Zweitkinder bezuschussen. Die Regierungsstadt Tianjin wiederum gibt 30 Tage lang mehr bezahlten Urlaub und Zuschüsse bei der Geburt eines zweiten Kindes. Die Stadt Yichang in Hubei zahlt Eltern umgerechnet rund 350 Euro an einmaliger Hilfe sowie die Entbindungskosten.

Andere Regionen warten auf die Entscheidung Pekings, ob es die Geburtenkontrolle ganz freigibt – oder auf drei Kinder beschränkt.Die Familienplanungsbehörde, die inzwischen „Nationale Gesundheitskommission“ heißt, bestraft zumindest theoretisch derzeit noch jeden Haushalt mit mehr als den erlaubten zwei Kindern mit Bußgeldern. Johnny Erling
 

Bonus für Besserverdienende in Österreich

Familien soll künftig „mehr von ihrem hart verdienten Geld bleiben“. Dieses zentrale Versprechen aus ihrem Regierungsprogramm will die Koalition aus konservativer ÖVP und rechtsnationaler FPÖ mit ihrem „Familienbonus plus“ einlösen, um die Geburtenrate von derzeit 1,5 Kindern in die Höhe zu treiben. Ab 2019 reduziert er die Steuerlast von Eltern um bis zu 1500 Euro pro Jahr und Kind.

Nach heftiger Empörung der Opposition, dass diese Förderung nur Kindern von Besserverdienern zugutekomme, wird es für steuerzahlende Alleinerzieher und Alleinverdiener eine Mindestentlastung von 250 Euro geben. Bezieher von Sozialleistungen haben auch darauf keinen Anspruch.

Parallel dazu sollen Familienleistungen für Zuwanderer, deren Kinder im EU-Ausland leben, an die dortigen Lebenserhaltungskosten angepasst werden. Das betrifft neben dem Familienbonus vor allem die Familienbeihilfe, ein Kindergeld, das mit Alter und Zahl der Kinder steigt. Während Pendler aus Osteuropa durch die europarechtlich höchst umstrittene „Indexierung“ spürbare Einkommenseinbußen befürchten und Brüssel mit einem Vertragsverletzungsverfahren droht, freut sich die Regierung in Wien auf Einsparungen in Höhe von 100 Millionen Euro – „für unsere Kinder in Österreich“. Elisalex Henckel
 

Absicherung für sozial Schwache in Tschechien

Tschechische Paare wurden zu sozialistischen Zeiten vom Regime gehätschelt und vor allem in den 1980er-Jahren mit Geld zum Kinderkriegen angeregt. Man konnte die Rückzahlungsraten für langfristige Ehekredite – ähnlich wie in der DDR – verringern, wenn man Kinder gebar. Das hat sich geändert, seit das Land in der Marktwirtschaft angekommen ist. Heute sorgt sich der Staat maximal darum, dass niemand durch ein Kind zum Sozialfall wird.

Die Geburtenrate in Tschechien liegt bei rund 1,57 Kindern – und damit unter dem EU-Durchschnitt von 1,6. Immerhin ist der Trend rückläufig, dass Frauen mit dem ersten Kind bis rund um den 30. Geburtstag warten. Früher waren Erstgebärende um die 20 Jahre üblich.

Der Staat, nicht so reich wie vergleichbare westeuropäische Länder, schaut bei seinen Leistungen für junge Familien genau auf den Verdienst. Selbst Geburtenbeihilfe gibt es nur für Familien, deren Einkommen unterhalb des 2,7-Fachen des Familienmindestbedarfs liegt. Für das erste Kind beträgt die umgerechnet 520 Euro, für das zweite Kind maximal 400 Euro.

Sehr knapp für deutsche Verhältnisse fällt auch das Kindergeld aus. Zwischen Geburt und dem sechsten Geburtstag liegt es bei monatlich 20 Euro, bis zum 15. Geburtstag bei 24,40 Euro und bis zum 26. Geburtstag bei 28 Euro. Etwas großzügiger ist die Regierung beim Elterngeld: Bis zur Vollendung des 4. Lebensjahres beträgt es umgerechnet maximal 8800 Euro, bei Mehrlingsgeburten höchstens 13.200 Euro. Hans-Jörg Schmidt

 
Muttergehalt und zinslose Kredite in Ungarn

Anfang Oktober verbreiteten ungarische Medien den neuesten Plan der Regierung zur Steigerung der Geburtenrate: Mütter von drei Kindern sollen demnach lebenslang keine Einkommensteuern mehr zahlen müssen. Ministerpräsident Viktor Orbán hatte zu Beginn seiner dritten Amtszeit im April angekündigt, bis 2030 die Geburtenrate von derzeit knapp 1,5 auf 2,1 Kinder pro Frau steigern zu wollen.

Orbán verfolgt schon seit 2010 eine familienfreundliche Politik. Wer drei Kinder hat, erhält 90 Prozent Ermäßigung für Bahnreisen, eine durchschnittlich verdienende Familie mit drei Kindern zahlt nach Abzug aller Steuerermäßigungen nur etwa zwei Prozent Einkommensteuer.

Es gibt ein Muttergehalt für Frauen, die „hauptberuflich Mutter sein wollen“, für einen Zeitraum von drei Jahren Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 70 Prozent des letzten Gehalts, Kindergeld – all diese Bezüge können zusammengerechnet monatlich einem vollen durchschnittlichen Gehalt entsprechen. Krippe und Kindergarten sind gratis, und es gibt auch genug Plätze.

Außerdem gibt es vom Staat – ab dem dritten Kind – 30.000 Euro, wenn man die Summe für den Kauf einer Wohnung verwendet, und noch mal 30.000 (künftig 45.000) Euro zinslosen Kredit. Ergebnis: Von 2010 bis 2017 stieg die Geburtenrate von 1,28 auf 1,48 Kinder pro Frau, stagniert aber seither. Boris Kálnoky

 
Hohe Kinderbetreuungskosten in Großbritannien

Auch im traditionell kinderreichen Großbritannien fällt die Geburtenrate. 2017 ging sie auf 1,76 Kinder zurück, von 1,81 im Jahr 2016. Ein Trend, der seit 2006 anhält. Einzige Ausnahme ist die Altersgruppe der Mütter über 40, deren Rate kontinuierlich steigt.

Die sinkende Kinderzahl geht einher mit dem Beginn der Finanzkrise 2008, die das Königreich hart traf. Zwar hat sich der Arbeitsmarkt erholt, aber seit zehn Jahren steigen die Löhne kaum, und das bei anhaltend steigenden Lebenskosten. Die Inflation liegt, auch bedingt durch den Brexit, bei 2,9 Prozent und damit klar über dem Lohnzuwachs.

Zudem sind die Kinderbetreuungskosten in den ersten drei Jahren massiv. Durchschnittlich 13.600 Euro kostet ein voller Kitaplatz pro Jahr. In London sind es sogar 14.800 Euro. Staatlich finanzierte Plätze gibt es nur für die sozial Schwächsten.

Dass die britische Regierung nun das Kinderkriegen mit staatlichen Leistungen ankurbelt, steht nicht zu erwarten. London stopft derzeit Löcher an allen Fronten, sei es im Gesundheitswesen, im sozialen Wohnungsbau oder der Bildung. Im Vergleich zu Deutschland ist das Kindergeld gering. Rund 90 Euro pro Monat für das erste Kind, 60 für das zweite. Kindergeld gibt es nur für Haushalte, die weniger als umgerechnet 60.000 Euro pro Jahr verdienen. Stefanie Bolzen

 
Kaum Unterstützung für Familien in Spanien

Spanien hat eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa. In den vergangenen Jahren lag die Geburtenrate pro Frau stets bei 1,31 Kindern, nur Italien und Griechenland schnitten noch schlechter ab. Zwischen 2007 und 2010 gab es eine Babyprämie von 2500 Euro für jedes neugeborene Kind, was die Geburtenrate kurzfristig ansteigen ließ. Während der Finanzkrise wurden jedoch die staatlichen Hilfsleistungen zusammengestrichen.

Das ist lange her. Doch für Familien hat sich nichts verbessert. Wie das Internetportal Hispanidad.com vorrechnet, gibt es in Spanien nur 873 Euro pro Kind – verteilt auf drei Jahre. Umgerechnet sind dies 24,25 Euro im Monat bis zum 36. Lebensmonat.

Innerhalb der EU ist Spanien das Land, das am wenigsten Unterstützung für die Familien zahlt, nämlich nur 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die regierenden Sozialisten haben für die nächsten Jahre einen Kurswechsel angekündigt. Künftig soll es 100 Euro pro Kind geben, aber ebenfalls nur für die ersten drei Jahre. Ute Müller

 
Großer Familienzusammenhalt in Israel

Mit 3,11 Kindern pro Frau hat Israel die höchste Geburtenrate in der OECD. Dabei ist das Kindergeld niedrig, die Lebenshaltungskosten sind hoch, Mutterschaftsurlaub endet nach drei Monaten. Doch Kultur und Gesellschaft spornen zum Kinderkriegen an.

Forscher sprechen von vielen Faktoren, wie der große Familienzusammenhalt in einem kleinen Land. Die Entfernungen sind kurz, man trifft sich oft, Großeltern stehen als Babysitter bereit. Und der Staat setzt Zeichen, garantiert Kindergartenplätze ab dem dritten Lebensjahr, finanziert eine künstliche Befruchtung bis zum zweiten Kind oder 45. Lebensjahr. Gil Yaron

 
Geburtenschwache Jahrgänge haben in Russland weniger Kinder

In Russland gibt es seit 2007 das „Mütterkapital“ ab dem zweiten Kind – einsetzbar etwa als Zuschuss für Wohneigentum oder für die Ausbildung der Kinder. Im Jahr 2017 betrug die Summe umgerechnet 6000 Euro. Das Programm schien zunächst ein Erfolg zu sein: Die Geburtenrate stieg, russische Frauen bekamen 2015 im Schnitt 1,78 Kinder – doch die absolute Zahl der Geburten ging dennoch nach einigen Jahren zurück, und auch die Geburtenrate fiel auf 1,62 im Jahr 2017.

Demografen sind sich einig: Die Entwicklung der Geburtenzahl war praktisch von finanziellen Anreizen abgekoppelt, sie war Resultat der Altersstruktur der späten Sowjetgesellschaft. Zuletzt bekamen die bevölkerungsstarken Jahrgänge der späten 1980er Kinder, doch dieses Potenzial ist nun ausgeschöpft.

Mit dem Kinderkriegen sind nun die kleinen Jahrgänge der krisenhaften 1990er-Jahre an der Reihe, und weniger potenzielle Mütter bedeuten weniger Kinder. Daran wird wohl auch das in diesem Jahr eingeführte Kindergeld ab dem ersten Kind in Höhe von umgerechnet 150 Euro wenig ändern. Pavel Lokshin

 
Die Zahl der Geburten ist 2017 leicht gesunken

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Die Zahl der Geburten in Deutschland ist 2017 leicht zurückgegangen. 785.000 Babys kamen vergangenes Jahr zur Welt. Das waren 0,9 Prozent weniger als im Vorjahr. Im Durchschnitt bekam eine Frau 1,57 Kinder.

 

Quelle:
https://www.welt.de/politik/ausland/article183319832/Geburtenrate-Mit-diesen-Anreizen-wollen-Laender-einen-Babyboom-entfachen.html