Unerfüllter Kinderwunsch führt in die Tragödie
Eine gute Ehefrau muss auch Mutter werden (Buchcover: Piper Verlag, Hintergrund: AFP – Francisco Leong)
Der Debütroman der nigerianischen Autorin Ayobami Adebayo ist ein internationaler Erfolg, wahrscheinlich, weil er ein universelles Thema behandelt: In „Bleib bei mir“ lässt ein Ehepaar mit unerfülltem Kinderwunsch nichts unversucht, bis es zur Tragödie kommt.
Dass Ayobami Adebayos Debüt international so erfolgreich ist, hat ganz sicher mit seinem Thema zu tun: Im Zentrum von „Bleib bei mir“ steht ein Paar, das keine Kinder bekommen kann – ein Problem, das Menschen auf der ganzen Welt unabhängig von Herkunft und sozialem Status ereilen kann. Und das bei vielen, die es trifft, eine tiefe Krise auslöst.
Denn der Wunsch nach Nachwuchs ist ein zutiefst archaisches Bedürfnis, dem Verstand oder Kultur wenig entgegenzusetzen haben. Überall auf der Welt lassen Männer und Frauen demütigende Untersuchungen über sich ergehen, lassen sich auf kostspielige und anstrengende In-vitro-Behandlungen ein oder suchen Leihmütter oder -väter, weil sie sich ein Leben ohne Kinder nicht vorstellen können. Adebayos Protagonistin Yejide ist sich durchaus bewusst, dass ihre Motive auch eigennützig sind:
„Die Gründe dafür, dass wir bestimmte Dinge tun, sind nicht immer die Gründe, an die andere sich später erinnern. Manchmal glaube ich, dass wir Kinder bekommen, damit jemand der Welt erklären kann, wer wir waren, wenn wir eines Tages fort sind.“
Die nigerianische Variante des unerfüllten Kinderwunsches
Ayobami Adebayo erzählt die nigerianische Variante des unerfüllten Kinderwunsches, die in der Schilderung der damit verbundenen Gefühle wie Scham, Wut und grenzenlose Trauer jedoch universell ist.
„Bleib bei mir“ ist die Geschichte von Yejide und Akin, die sich in den 1980er Jahren während des Studiums kennenlernen, eine Liebe auf den ersten Blick. Nach der Hochzeit eröffnet Yejide einen Friseursalon, Akin wird Banker. Beide sind durchaus fortschrittlich, Yejide, die ohne Mutter aufwuchs, ist eine selbstbewusste, unabhängige Frau. Dennoch lastet schon bald der Druck beider Familien stark auf ihnen. Die kinderlose Yejide muss sich permanent verteidigen, unter anderem gegen ihre Schwiegermutter:
„Ich mache die Kinder nicht. Das kann nur Gott.“ Sie marschierte auf mich zu, und als sie so dicht vor mir stand, dass sie mit den Zehen meine Schuhe berührte, sagte sie: „Hast du Gott je in einem Kreißsaal ein Kind zur Welt bringen sehen? Los, sag schon, Yejide, hast du Gott je auf einer Entbindungsstation gesehen? Frauen machen Kinder, und wenn du das nicht kannst, bist du nur ein Mann und verdienst es nicht, eine Frau genannt zu werden.“
Fehlendes Vertrauen und angeknackste Hoffnungen
Eines Tages steht plötzlich eine familiäre Gesandtschaft vor der Tür, in ihrem Schlepptau: eine Zweitfrau für Akin. Er hat von diesem Plan gewusst und ihn Yejide verschwiegen. Dies ist nur der erste Verrat, den er an ihr begeht.
Was folgt, ist eine schier unmenschliche Abfolge von menschlichen Katastrophen, Leid und Tod. Yejide weiß, dass sie sich gegen die Zweitfrau nur erfolgreich wehren kann, wenn sie zuerst schwanger wird. Sie steigert sich in eine Scheinschwangerschaft hinein. Ayobami Adebayo macht sehr eindrücklich nachvollziehbar, wie es so weit kommen kann, dass eine kluge, eigentlich ziemlich rationale Frau wie Yejide sich mehr als ein Jahr lang ein Baby einbildet. Als Akins Bruder Dotun das Paar besucht, gesteht sie sich endlich ein, warum sie sich selbst belügt:
„Er glaubte mir. Da war nichts Belustigendes und kein Zweifel in seinem Blick. Er begegnete mir ebenbürtig. In seinem Blick lag etwas, das ich bei Akin schon viel zu lange nicht mehr gesehen hatte: Vertrauen in mich, meine Worte und meine Zurechnungsfähigkeit. Ich wollte Dotun an mich pressen, bis sein Vertrauen in mich die angeknackste Hoffnung wiederhergestellt und die Verzweiflung verjagt hatte, die mich auffraß.“
Eine Serie von Lügen und Tragödien
Schließlich wird Yejide doch schwanger, und was das Paar zunächst als Erlösung feiert, stellt sich bald als Beginn weiterer Qualen heraus. Am Tag der Namensgebungsfeier für das Kind stirbt die Zweitfrau unter ungeklärten Umständen. Kurz darauf liegt der Säugling tot im Bett. Auch der zweite, kurze Zeit später geborene Sohn ist nicht gesund. Er leidet an der Sichelzellenkrankheit. Als er stirbt, kommt Yejide hinter den zweiten großen Verrat: Akin hat seinen Bruder Dotun gebeten, sie zu verführen, damit sie endlich schwanger wird. Sie hat nachgegeben. Doch Dotun und Yejide sind beide Träger der tödlichen Erbkrankheit.
Als Yejide das Komplott der Brüder aufdeckt, ist es zu spät: Auch das dritte Kind, mit dem sie gerade schwanger ist, wird Träger der Sichelzellenkrankheit sein. Sie nennt das Mädchen Rotimi, zu deutsch „Bleib bei mir“ – daher der Romantitel. Als auch Rotimi erkrankt, zerbricht die vorher schon poröse Beziehung zwischen Yejide und Akin endgültig. Zumal auch die größte Lüge Akins nun ans Tageslicht kommt: Er war von Anfang an impotent, hat aber aus männlicher Eitelkeit und aus Angst, Yejide zu verlieren, geschwiegen. Akin hatte gehofft, ihre Liebe halte auch diese Lüge aus.
„Ich war vom ersten Augenblick an in Yejide verliebt. Kein Zweifel. Aber es gibt Dinge, die auch die Liebe nicht vermag. Bevor ich heiratete, glaubte ich, die Liebe allein könne alles schaffen. Ich lernte bald, dass ich der Belastung der vier Jahre ohne Kinder nicht gewachsen war. Wenn die Last zu groß ist, zu groß über eine zu lange Zeit, knickt selbst die Liebe ein, bekommt Risse, droht zu zerbrechen und zerbricht manchmal. Aber auch wenn sie in tausend Scherben verstreut um unsere Füße liegt, ist es noch immer Liebe“.
Ein Roman über die – nicht unendliche – Kraft der Liebe
„Bleib bei mir“ ist auch ein großer Roman darüber, wie weit die Kraft der Liebe reicht – zu einem Partner, aber auch zu einem Kind. Yejide wehrt sich von Beginn an, Rotimi zu lieben, um den drohenden neuerlichen Verlust ertragen zu können. Die Klarheit, mit der Ayobami Adebayo die Gefühle ihrer Protagonisten beschreibt, ist eine der Stärken des Romans:
„Ich wusste nicht, was ich mit dem schreienden kleinen Mädchen anfangen sollte, das wir schon jetzt jeden Tag und jeden Moment, wenn wir ihren Namen sagten, anflehten – Rotimi – bleib bei mir. Ich schloss die Augen, wenn sie an meiner Brust nuckelte, vermied jeden Augenkontakt. Jeden zweiten Tag ließ ich die Waschfrau kommen, die die Babysachen wusch. Ich hatte nicht die Kraft zu lieben, wenn ich auch dieses Kind verlieren konnte. Und so hielt ich sie erschöpft im Arm, ohne viel Hoffnung und überzeugt, dass auch sie es irgendwie schaffen würde, mir zu entgleiten.“
Adebayo erzählt ihre grausame Geschichte in einer unkomplizierten Sprache, die Dialoge sind pointiert und zum Teil sogar komisch. Sie sind im Original in nigerianischem Umgangs-Englisch verfasst, und die Übersetzerin Maria Hummitzsch hat sich alle Mühe gegeben, eine angemessene Übertragung ins Deutsche zu finden. Das liest sich zum Beispiel so:
„Brother Akin… Bei allem nötigen Respekt-o, aber was du da redest, ist völliger Quatsch.“
Das klingt unfreiwillig komisch, ist aber der Übersetzerin nur bedingt anzulasten – es gibt eben keine Entsprechung für ein nigerianisch gefärbtes Deutsch. Trotz dieser leichten Irritationen liest sich „Bleib bei mir“ aber flüssig und wie aus einem Guss.
Ein universelles Buch über die Trauer
Ohne Zweifel steht Ayobami Adebayo in der langen Reihe afrikanischer Autorinnen, die, wie Assia Djebar, Mariama Ba oder Tsitsi Dangarembga, gegen die Unterdrückung von Frauen anschreiben. „Bleib bei mir“ ist bereits in die große Tradition des nigerianischen Feminismus gestellt worden, der von der versöhnlichen Flora Nwapa bis hin zur rebellischen Buchi Emecheta viele Spielarten kennt. Auch dieser Bezug ist nicht falsch. Aber „Bleib bei mir“ als feministischen Roman zu lesen, greift zugleich zu kurz. Denn der Mann ist bei Adebayo nicht der Aggressor, sondern genau wie seine Frau Opfer von Traditionen und Erwartungen, mit denen seine Familie ihn bedrängt. Dramaturgisch zeigt sich das darin, dass die Autorin Yejide und Akin abwechselnd erzählen lässt.
Ayobami Adebayo ist eher eine Geistesverwandte ihrer jüngeren nigerianischen Schriftsteller-Kolleginnen Chimamanda Ngozi Adichie, Lola Shoneyin und Chika Unigwe, deren Protagonistinnen ebenfalls selbstbewusste Frauen sind, deren Frau- und Schwarzsein ihnen aber wie unauslöschliche Makel anhaften.
Adebayo hat in einem Interview gesagt, dass sie „Bleib bei mir“ nicht als nigerianisches Buch verstanden wissen will. Denn Kinderlosigkeit, Trauer und die Einmischung von Freunden und Verwandten in eigentlich intime Themen seien universelle Themen, unter denen Frauen wie Männer auf der ganzen Welt leiden. Und tatsächlich ist „Bleib bei mir“ für eine deutsche Leserin in keinem Moment fremd. Der Roman gleicht einem beklemmenden antiken Drama, in dem eine Verkettung von jeweils kleinen Verfehlungen in der Summe eine immense Tragödie auslöst.
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