Zu Besuch beim ersten Retortenbaby der Welt
Die Britin Louise Brown ist der erste Mensch, der 1978 in einem Labor gezeugt wurde. Heute gilt sie als Galionsfigur der Reproduktionsmedizin.
Von Sebastian Jannasch
Louise Brown verdankt ihr Leben zwei Wetten. Zuerst gewann ihr Vater beim Fußball-Toto 800 Pfund, was für den Lastwagenfahrer aus Bristol ein kleines Vermögen war. Mit dem erspielten Geld sollte endlich ein Wunsch in Erfüllung gehen, der John und seiner Frau Lesley jahrelang verwehrt geblieben war: ein gemeinsames Kind. Der Gewinn finanzierte die komplizierte Behandlung.
Die zweite Wette war dann die medizinische Methode, auf die das verzweifelte Paar setzte. Es war eine Wette mit geringen Chancen: Zum damaligen Zeitpunkt, Mitte der Siebzigerjahre, hatte eine Schwangerschaft per künstlicher Befruchtung im Labor noch nie funktioniert. Am 25. Juli 1978, kurz vor Mitternacht, kam Louise Brown zur Welt, Mittelname Joy, Freude, schon bei der Geburt weltberühmt. Der Titel „erstes Retortenbaby der Welt“ ist so was wie ein Teil ihres Namens geworden, für Befürworter der Reproduktionsmedizin ist sie die Galionsfigur.
Ein Konferenzraum im Europäischen Parlament. Louise Brown, 38 Jahre alt, kräftige Statur, lockiges Haar, schaut etwas betreten auf den Tisch vor ihr, während sie als Wunder, Durchbruch der Forschung und Ergebnis einer geglückten Behandlung bezeichnet wird. Die Organisationen „Eshre“ und „Fertility Europe“ haben sie eingeladen, um einen leichteren und günstigeren Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten für unfruchtbare Menschen zu fordern.
Schon als Baby war Brown ein Star, bereits vor ihrer Geburt belagerten Journalisten das Krankenhaus in Oldham in der Nähe von Manchester, obwohl ihre Mutter unter falschem Namen aufgenommen worden war. Doch man hatte den Vater im Pub belauscht, kurz darauf marschierte der internationale Medientross ein, Reporter versuchten, als Fensterputzer und Klempner verkleidet, Blicke auf die schwangere Mutter zu werfen. Die Boulevardmedien nannten sie „Frankenbaby“, in Anlehnung an Frankensteins Horrorwesen.
Normale Kindheit, trotz Ruhm
Heute tritt sie nur noch selten öffentlich auf, weshalb sich an diesem Dienstag zahlreiche Journalisten in den Saal im Europäischen Parlament drängeln. Nach der Begrüßung durch die Veranstalter liest Louise Brown eine kurze Rede vor. „Meine Geburt hat vielen Hoffnung gemacht“, sagt sie, und sie sei wirklich glücklich, dass Paare mit Schwierigkeiten beim Kinderkriegen heutzutage nicht mehr auf Talismane, Liebestränke und fragwürdige Rituale angewiesen seien. Aber den ganzen Rummel um ihre Person, den empfinde sie schon als „freaky“. Ihre Wangen sind gerötet.
Die Eltern wurde damals erst spät bewusst, wie außergewöhnlich die als In- vitro-Fertilisation bezeichnete künstliche Befruchtung war, die der Gynäkologe Patrick Steptoe und der Physiologe Robert Edwards entwickelt hatten, die 2010 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. „Wirklich verstanden hat das meine Mum erst, als sie schon im sechsten Monat schwanger war“, erzählt Brown, als sie später auf einer Bank vor dem Konferenzraum sitzt. Wahrscheinlich habe die Unbekümmertheit aber geholfen. Louise kam per Kaiserschnitt zur Welt; den Zuschlag für das erste Bild sicherte sich die Boulevardzeitung Daily Mail per Scheckbuch.
Als die junge Familie mit der zwölf Tage alten Louise zurück nach Bristol kam, hatten sich auch dort bereits Reporter eingemietet. Browns Eltern mieden die Öffentlichkeit in den ersten Jahren aber keinesfalls: Im Fernsehen und auf Konferenzen wurde das „Superbabe“ von Japan bis Nordamerika herumgereicht. „Doch irgendwann wurde es einfach zu viel, und meine Eltern entschieden, mich von der Presse abzuschotten“, erzählt sie.
Ihre weitere Kindheit verlief dann „so normal, wie es eben möglich war“. Einmal habe ihr jemand zugerufen, wie sie denn jemals in ein Reagenzglas gepasst habe. Schlimmer waren allerdings die Kommentare der katholischen Kirche, die in ihrer Zeugung das „Werk des Teufels“ sahen. Oder als ein makabres Päckchen aus Kalifornien kam, in dem neben einem zerbrochenen Reagenzglas mit Kunstblut ein Plastikfötus steckte sowie eine Drohung. Die Eltern ließen sich von alldem nicht verunsichern: Wenige Jahre später kam Louises Schwester Natalie zur Welt, ebenfalls im Labor gezeugt.
Brown hat zwei Kinder gezeugt – ohne Reagenzglas
Obwohl sie immer wieder in der Zeitung und im Fernsehen zu sehen ist, fühle sie sich „nicht als etwas Besonderes“, sagt Louise Brown. Und, ja, sie mag Auftritte im Rampenlicht nicht besonders, aber wenn sie zu Veranstaltungen wie dieser in Brüssel eingeladen werde, komme sie. Bei solchen Gelegenheiten wird sie oft gefragt, wie sie die Reproduktionsmedizin beurteile, wie sie diese Entwicklung sehe oder jene, und sie sagt dann immer: „Ich bin keine Ärztin oder Wissenschaftlerin“, sie arbeitet in einer Spedition in Südengland. Sie hat sich ihren Nebenjob als Galionsfigur nicht ausgesucht.
Und was ihre eigene Familie angeht: Sie hat mit ihrem Mann Wesley zwei Söhne auf natürlichem Weg bekommen, den heute zehnjährigen Cameron und den dreijährigen Aiden, und sie sagt, sie sei „sehr froh, dass es auf natürliche Weise funktioniert hat“. Eine künstliche Befruchtung bedeutet Strapazen und höhere Risiken während der Schwangerschaft. Ob das Verfahren denn moralisch vertretbar sei, das müsse jeder selbst beantworten, findet Louise Brown, lässt sich dann aber doch ein wenig mehr Meinung entlocken: „Ich würde nur Behandlungen aus gesundheitlichen Gründen machen.“
Sie hätte gern noch eine Tochter. Darauf aber im Labor Einfluss zu nehmen, käme für sie nicht infrage. Louise Brown überlässt das lieber der Natur.