
Der schwierige Weg zum Wunschkind
Ein Paar aus dem Landkreis Schwandorf möchte nicht noch ein Baby durch einen Gendefekt verlieren. Sie hoffen auf die PID.
REGENSBURG.Das Problem ist winzig klein, mit bloßem Auge nicht zu erkennen: Die Chromosomen neun und zwölf weichen von der Norm ab. Ein Teilstück ist etwas länger, dafür ist das passende Gegenüber etwas kürzer geraten. Damit hat Mutter Natur eigentlich alles in Ordnung gebracht. Matthias hat keine Beschwerden, er ist schlank und fit. Lange wusste der 35-Jährige nicht einmal, dass er eine Chromosomenstörung in sich trägt. Bis er mit seiner Frau Sabine im Januar 2010 bei der großen Ultraschall-Untersuchung ihres ersten Kindes sitzt. Auf dem Bildschirm entdeckt der Arzt „Auffälligkeiten“, das Baby ist außerdem sehr klein und hat zu wenig Fruchtwasser. „Das war der erste Schock“, erzählt die 32-Jährige heute. Für das junge Paar beginnt ein Alptraum: Eine Fruchtwasseruntersuchung bestätigt den Anfangsverdacht, das Baby wird, wenn es die Schwangerschaft überhaupt übersteht, schwerbehindert sein. Es folgt eine Odyssee durch Kliniken, eine Zeit voller Sorgen und Ängste. Heute, mehr als fünf Jahre später, hat das Paar nur einen Herzenswunsch: ein gesundes Kind.
Matthias und Sabine heißen in Wirklichkeit anders. Das Paar aus dem Landkreis Schwandorf ist eines von rund 200 in Deutschland, für das eine sogenannte Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, infrage kommt. Sie ist für Paare mit Erbkrankheiten oft die letzte Hoffnung. Dabei wird ein im Labor gezeugter Embryo genetisch auf die in der Familie vorkommende Erbkrankheit untersucht, bevor er durch künstliche Befruchtung in die Gebärmutter eingesetzt wird. Theoretisch könnten Matthias und Sabine auch auf natürlichem Weg ein gesundes Kind bekommen. „Die Chancen liegen zwischen 50 und 70 Prozent“, sagt Matthias. Doch das Risiko ist dem Paar zu hoch. Die beiden wissen, was es heißt, ein schwer krankes Baby zu bekommen.
Als Anfang 2010 die fatale Diagnose feststeht, kommt eine Abtreibung nicht infrage. „Wir wollten nicht eingreifen“, sagt Sabine. Religiöse oder moralische Gründe spielen dabei keine Rolle. Die Prognose ist niederschmetternd: Die Ärzte rechnen mit einer Totgeburt. Doch die Kleine ist zäh, am 2. Juni kommt sie zur Welt und kann sogar selbstständig atmen. Das Mädchen soll Sophie heißen.
Bangen rund um die Uhr
Drei Wochen nach der Geburt können die Eltern ihr Baby mit nach Hause nehmen. „Wir mussten erst ein Kinderzimmer einrichten“, erinnert sich Matthias mit einem Lächeln. Sophie ist ihre schwere Erkrankung zunächst kaum anzusehen, doch sie muss rund um die Uhr intensiv betreut werden. Als gelernte Kinderkrankenschwester ist Sabine dafür bestens geeignet, doch die Pflege zehrt. Matthias arbeitet weiter im Schichtdienst bei einem Automobilzulieferer, hilft aber mit und schlägt sich die Nächte um die Ohren. Als nach sechs Monaten bei Sophie schwere Krampfanfälle hinzukommen, gerät die kleine Familie zunehmend an ihre Grenzen. Ein Pflegedienst hilft zwar, doch Matthias und Sabine sind dabei, sich aufzureiben. Zur körperlichen Belastung kommt die emotionale, das ständige Auf und Ab zwischen Hoffnung und Sorge. „Unsere ganze Energie war aufgebraucht“, erzählt Matthias im Rückblick gefasst. Doch die Schatten der Erinnerung sind ihm ins Gesicht geschrieben.
Ende Mai 2011 muss Sophie in die Klinik, es geht nicht mehr. „Uns war klar, dass wir unsere Tochter nicht mehr mit nach Hause nehmen werden“, sagt Sabine. Den ersten Geburtstag feiert die Familie noch im Krankenhaus, in der darauffolgenden Nacht stirbt das Mädchen. Die Eltern sind zwar auf diesen Abschied vorbereitet. Doch es dauert ein Jahr bis sie die Trauer verarbeitet haben. „Die Gespräche bei Donum Vitae haben uns dabei sehr geholfen“, sagt Sabine.
Der Wunsch nach einem Kind ist nach dem Verlust ihrer Tochter noch größer geworden. Fest steht aber auch: „Wir wollen unserem Kind einen gesunden Start ins Leben geben“, sagt Matthias, „wir haben ein Jahr lang gesehen, was die Kleine durchgemacht hat“. Das Paar diskutiert alle Alternativen durch – vom Pflegekind bis zur Adoption, von der Samenspende bis zur PID. Besonders Sabine ist anfangs gegen eine genetische Untersuchung: „Der Gedanke, auszusortieren, hat mir nicht gefallen.“ Mehr als ein Jahr dauert der Entscheidungsprozess, dann steht fest: Das Paar will es doch mit einem Gentest versuchen.
2011 hat der Deutsche Bundestag einer Änderung des Embryonenschutzgesetzes zustimmt. Die PID ist seither unter strengen Auflagen erlaubt. Jeder Antrag muss einzeln von einer Ethikkommission geprüft und genehmigt werden, nur zugelassene Zentren dürfen die Untersuchung durchführen. Erst im März 2014 wurde in Lübeck das erste PID-Zentrum in Deutschland zugelassen. In Bayern dauert es ein Jahr länger, bis sich die Ethikkommission konstituiert. Die vier PID-Zentren im Freistaat sind seit Juni zugelassen, eines davon ist in Regensburg: das Zentrum für Humangenetik von Professor Ute Hehr. Sie ist niedergelassene Fachärztin für Humangenetik und arbeitet eng mit dem Regensburger Kinderwunschzentrum KITZ und dem Uniklinikum zusammen. Die Medizinerin hat mehr als 15 Jahre Erfahrung mit der Präimplantationsdiagnostik an Polkörpern. Sie begleitet Matthias und Sabine von Anfang an und gibt ihnen 2014 den Tipp, es in Lübeck zu versuchen.
Im Herbst 2014 stellt das Paar dort einen PID-Antrag, im Dezember ist die Zusage da, im Januar 2015 geht es los. Wie bei jeder künstlichen Befruchtung ist eine Hormonbehandlung nötig, damit ausreichend Eizellen heranreifen. Sabine bekommt Hormonspritzen, 20 Eizellen werden ihr entnommen, acht können erfolgreich befruchtet werden und müssen dann reifen. Doch zur PID kommt es nicht, die Embryos entwickeln sich nicht richtig – ein Problem, das oft vorkommt. „Für uns war das ein Tiefschlag“, erzählt Sabine. Das Paar startet einen neuen Anlauf. Diesmal können Sabine 19 Eizellen entnommen werden, neun werden erfolgreich befruchtet. Zwei Embryos können schließlich auf eine genetische Schädigung untersucht werden: Nur einer der beiden ist unauffällig und wird Sabine Anfang Juni eingesetzt. Die Erfolgsquote für eine Schwangerschaft liegt bei höchstens 30 Prozent. Das Paar hat Glück, Sabine wird schwanger. Mit einem Mal fällt die Last der vergangenen Jahre ab.
Der Traum dauert nur zehn Tage, dann verliert Sabine ihr Baby. Zum emotionalen Stress kommt die finanzielle Belastung. „Für die Behandlung in Lübeck haben wir insgesamt 16 000 Euro bezahlt, ohne Anfahrt und Hotel“, rechnet Matthias vor. Allein die Kosten für den Antrag an die Ethikkommission belaufen sich auf 1500 Euro. Gesetzliche Krankenkassen zahlen für eine PID-Behandlung generell nichts.
Enorme Kosten belasten
Matthias und Sabine geben die Hoffnung auf ein gesundes Kind nicht auf. Im Juli stellen sie erneut einen PID-Antrag, diesmal in Bayern. Persönlich ist das Paar dafür ins Gesundheitsministerium nach München gereist, um auf die hohen Behandlungskosten aufmerksam zu machen. Allein für den neuen Antrag könnten bis zu 5000 Euro fällig werden. „Im Ministerium sind wir zwar freundlich empfangen worden, aber Hoffnung auf Zuschüsse hat man uns nicht gemacht.“ Insgesamt rechnet das Paar für die neue PID mit Ausgaben von 10 000 bis 11 000 Euro. „Das macht uns großen Druck“, sagt Sabine. Sie kann nicht nachvollziehen, dass die „grausame Alternative“ von der Krankenkasse voll bezahlt würde, also die Fruchtwasseruntersuchung nach einer Schwangerschaft auf natürlichem Weg und anschließend ein möglicher Abbruch.
Im September erwartet das Paar die Genehmigung des Antrags, dann werden sie sich so schnell wie möglich einer neuen PID unterziehen. Wie es weitergeht, wenn es nicht klappt? Darauf haben beide keine Antwort. Noch mehr Geld für einen neuen Versuch ausgeben? Verschulden wollen sie sich auf keinen Fall. Was für andere Paare selbstverständlich ist, ist für Matthias und Sabine immer noch ein Traum: ein gesundes Kind.
Quelle: http://news24h.allnews24h.com/