Mutter mit 55, dank Eizellspende und Leihmutter
Sylvia und Michael wünschten sich nichts sehnlicher als ein Kind. Doch Versuche in einer Fruchtbarkeitsklinik scheitern. 17 Jahre später bekommen sie Zwillinge – dank einer ukrainischen Leihmutter.
Als Sylvia aus der Narkose nach der Eizellentnahme aufwacht und in Panik gerät, beschließt ihr Mann Michael, dass jetzt endlich Schluss sein muss. Er hört, wie seine Frau im Operationssaal noch halb bewusstlos um Hilfe schreit. Aus Angst, nie wieder aufzuwachen. „Wir hören jetzt auf damit“, sagt Michael, als sie wieder bei vollem Bewusstsein ist, und beendet die Behandlung vorzeitig. Damit schlägt auch ihr sechster und letzter Versuch fehl, in der Fruchtbarkeitsklinik schwanger zu werden.
Was dann folgte, war eine schlimme Zeit, sagt Sylvia. Die Ärzte hatten den Körper der damals 38-Jährigen für die künstliche Befruchtung mit Hormonen regelrecht überschwemmt. Danach funktionierte nichts mehr richtig, ihre letzten, verbliebenen Eizellen platzten weg, die Spermien ihres Mannes waren ohnehin in keinem guten Zustand. Auf ein eigenes Kind, ob auf künstlichem oder natürlichem Weg gezeugt, durften die beiden nicht mehr hoffen. „Ich habe mich so minderwertig wie eine Versagerin gefühlt. Alle können ein Kind bekommen, für die ist das so selbstverständlich, dachte ich“, erzählt Sylvia.
Fast 17 Jahre ist das her. Versuche, in dieser Zeit in Deutschland und im Ausland ein Kind zu adoptieren scheiterten genauso wie die Absicht, sich die Kinder-Sehnsucht auszureden. Die Wehmut blieb. Trotz der vielen exotischen Reisen. Trotz der vielen Patenkinder. Sie stürzte sich in die Gründung ihres eigenen Pflegedienstes. Doch auch das füllt die Lücke des Kindes nicht aus.
Dann, vor etwa zwei Jahren, sah sie zufällig einen TV-Bericht über Elton John, dessen zweites Kind mithilfe einer Leihmutter auf die Welt kam. „Warum haben wir nie daran gedacht?“, fragte sie ihren Mann. Das war der Moment, in dem sie wieder um ein Kind zu kämpfen begannen.
Die Leihmutterschaft ist ein heikles Thema, ganz abgesehen davon, dass es für viele Paare die letzte Hoffnung auf ein Kind ist. Nicht alle Patientenpaare, die diesen Weg gegangen sind, sind bereit ihre Erfahrungen zu vermitteln.
In meisten Fällen schweigen sie darüber. Manche Paare befürchten dabei, dass das Kind ihnen weggenommen werden könnte. Die Familie Bollhorn ist eine Ausnahme von der Regel. Sylvia und Michael erzählen sehr gerne über den langen Weg zu ihren Wunschkindern.
Sie sind überglücklich und möchten auch anderen ungewollt kinderlosen Paaren helfen, der Erfüllung des Kinderwunsches nahezukommen. Sie sprechen ganz offen über die Leihmutterschaft und drücken ihre Dankbarkeit der Klinik Biotexcom aus.
Darüber hinaus stehen Sylvia und Michael allen betroffenen Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch zur Verfügung. Zur Unterstützung dieser Paare haben sie sogar eine Webseite erstellt, wo frischgebackene Eltern alle Artikel über ihre Familie sammeln, einen Blog führen und süße Bilder von ihren kleinen Prinzessinnen posten.
Die Leihmutter war die letzte Möglichkeit
Heute ist Sylvia 55 Jahre alt und hält ihre neugeborenen Zwillinge im Arm. Sechs Wochen nach deren Geburt betrachtet die Frau mit den braunen Haaren die beiden noch immer ungläubig. „Ich kann das immer noch nicht fassen. Manchmal wache ich in der Nacht auf und denke: Das kann nicht wahr sein.“ Sie fühle sich nun endlich komplett, wie eine Familie.
Simea und Ayla kamen am 8. Januar 2015 zur Welt, dank einer Eizellspende und einer Leihmutter in der Ukraine. Seit Kurzem sind die Mädchen in Deutschland, weil sie in Kiew endlich ihren Pass erhalten haben und einreisen durften. Sylvia wechselt nun Windeln, gibt Fläschchen, und sorgt sich um die Gesundheit der Kinder wie jede andere Mutter auch, Schlafmangel inklusive. „Es ist erstaunlich, woran sich der Körper gewöhnen kann.“ Es seien zufriedene Kinder, sagt sie, die nur schrien, wenn sie Hunger hätten oder auf den Arm möchten. Sie ist überzeugt, das liege an ihrer Leihmutter Swetlana, die eine sehr warmherzige Frau sei. „Ich bin ihr so unendlich dankbar, dass sie geholfen hat, mir meinen Wunsch zu erfüllen.“
Leihmutterschaft ist in Deutschland ein Tabu, nicht zuletzt weil sie hier verboten ist. Paare, die dennoch auf diesem Wege ein Kind bekommen wollen, gehen daher nach Osteuropa, Indien oder die USA. In etlichen dieser Länder gibt es Kliniken, die sich auf die Vermittlung von Leihmüttern spezialisiert haben. Sie bieten Rund-um-Pakete mit verschiedenen Dienstleistungen an. Die Behandlung kostet zwischen 30.000 Euro bis 70.000 Euro je nach Land. Weshalb Kritiker in ihnen Babyfabriken sehen.
Denn es geht vor allem auch um ethische Fragen: Was ist mit den Muttergefühlen der austragenden Frau? Die meisten Leihmütter tun es für Geld, aus finanzieller Not heraus. Und was ist mit den Kindern? Nicht zuletzt die Geschichten von Baby Gammy, dessen biologische Eltern den kleinen Jungen bei der Leihmutter in Thailand zurückließen, weil er mit dem Downsyndrom auf die Welt kam, hat gezeigt, wie weitreichend die Folgen für Leihmütter und Kinder sein können.
Die Realität ist aber auch, dass schon jetzt jedes dritte Paar medizinische Hilfe bei der Zeugung des Nachwuchses braucht, doch nicht jede Behandlung führt auch zum Wunschkind. Die Leihmutterschaft ist für viele Paare die letzte Hoffnung auf ein Kind. Wie viele deutsche Paare diesen Weg gehen, ist nicht bekannt. Denn wer ihn wählt, schweigt meist darüber. Aus Scham und Furcht, dass die Kinder ihnen später weggenommen werden könnten.
So kommen die Babys nach Deutschland
Dass jemand so offen über die Leihmutterschaft spricht wie Sylvia und Michael, ist daher eine Ausnahme. Das Paar aus Norddeutschland ließ sich bei ihrem Weg zum Kind sogar von einem Kamerateam der RTL2-Sendung „Wunschkinder“ begleiten (18. März 2015, 22.15 Uhr). Es sind Bilder zwischen Hoffen, Angst und Freude. Das erste Treffen mit der Leihmutter, das erste Mal die beiden Kinder auf dem Ultraschall sehen, nach den Namen suchen, Papiere besorgen und schließlich die Kinder nach Hause holen. „Ich hoffe, dass die Sendung jemand sieht, der vielleicht auch so etwas machen möchte“, sagt Sylvia.
Dass Michael und Sylvia sich für die Ukraine entschieden, hatte viele Gründe. Für beide war wichtig, dass es Gesetze gibt, welche die Leihmutterschaft genau regeln, Verträge der Kliniken werden von den Behörden noch einmal geprüft. Außerdem gelten die ukrainischen Ämter als zuverlässig, dass die Kinder nach ihrer Geburt auch tatsächlich deutsche Papiere erhalten.
„Es ist im Grunde genommen nichts anderes, als wenn ein Deutscher bei einem tollen Trip in Thailand ein Kind zeugt, aber die Frau sagt, dass sie das Kind nicht großziehen möchte. Er ist der genetische Vater, sie verzichtet – und er kommt mit dem Kind hierher“, sagt Sylvia. Ihr Mann musste bei der deutschen Botschaft in Kiew nachweisen, dass er auch der biologische Vater der Zwillinge ist, die Leihmutter trat ihr Sorgerecht für die Kinder notariell beglaubigt ab. Nach deutschem Recht ist ein Leihmutterschaftsvertrag zwar sittenwidrig, die Botschaft erkennt jedoch an, dass solche Verträge in der Ukraine möglich sind. So kann Sylvia in Deutschland die Kinder später adoptieren.
Eine Beziehung zur Leihmutter aufbauen
Aber noch etwas sprach für das Paar für die Ukraine: „Ich wollte, dass die Leihmutter nicht leidet und gut versorgt wird“, sagt Sylvia. Deshalb wollte sie die Möglichkeit haben, die Frau persönlich kennenzulernen. Anderen Paaren reichte der monatliche Bericht über die Gesundheit der Kinder und die Ultraschallbilder, die ihnen die Klinik per Mail zuschickt; viele betrachteten die Frauen bloß als Brutkasten. Sylvia aber wollte eine Beziehung zu der Frau aufbauen. Als sie die schmächtige blonde Schwangere zum ersten Mal sah, fielen sich die beiden Frauen in die Arme. „Danke, danke, danke“, flüsterte Sylvia immer wieder. „Bitte. Ich mache das gerne“, sagte Swetlana und versuchte, Sylvia zu trösten.
Swetlana ist 28 Jahre alt und erfüllt alle Voraussetzungen für eine Leihmutterschaft: Sie ist gesund, hat bereits Kinder (Zwillinge im Alter von fünf Jahren) und ist ledig. Letzteres hat juristische Gründe, denn sonst würde für das deutsche Recht ihr Ehemann automatisch als Vater gelten, und Sylvia und Michael könnten ihre Kinder nicht mit nach Hause nehmen. Ihren gut bezahlten Job bei einer französischen Firma verlor Swetlana durch die aktuelle Krise. So kam sie auf die Idee, Kinder für völlig Fremde auszutragen.
„Ich sehe das als Job, für mich ist es Arbeit“, sagt Swetlana. Mehrere Tausend Euro erhalten die Frauen nach der Geburt der Kinder, Swetlana wird fünf Jahre davon leben können, doch den größten Teil will sie für ihre Kinder zurücklegen, damit sie später studieren können. Das erzählte sie ihnen auch, als die sie fragten, warum ihr Bauch immer dicker wurde. „Da ist ein Sparschwein drin, und es kommt immer mehr Geld rein“, sagte sie ihnen.
Sylvia war natürlich klar, dass die Frau ihren Bauch nur aus einem Grund zur Verfügung stellt: Armut. „Da darf man sich keiner Illusion hingeben. All die Frauen, die sagen, sie machen das nur, um jemanden eine Freude zu machen, das ist Quatsch. Sie wollen Geld verdienen.“ Sylvia wünscht sich aber, dass die Verbindung auch noch dann hält, wenn die Kinder größer werden – schließlich ist Swetlana die Bauchmama der Zwillinge. Bislang hält der Kontakt, ein Besuch in Kiew ist bereits fest geplant. „Denkt daran: Ihr habt jetzt Freunde hier“, sagte Swetlana zum Abschied.
Ich werde niemals Großmutter, das weiß Sylvia
Nicht jeder wird ihre Entscheidung, mit 55 Jahren noch zwei Kinder zu bekommen, gutheißen, das weiß Sylvia. „Einige meinten zu mir: ‚Das ist aber egoistisch‘. Natürlich ist das egoistisch. Aber ist das nicht jeder Kinderwunsch?“, fragt sie zurück. „Ich wünschte mir auch, 15 Jahre jünger zu sein.“
Sie weiß auch, dass sie sich andere Gedanken machen muss als junge Mütter: Ihre Kinder müssen finanziell versorgt sein, falls ihr oder ihrem Mann etwas zustößt. Vielleicht werde sie 80, vielleicht aber auch nicht. Sylvia spannt deshalb schon jetzt ein großes Netzwerk aus Patentanten und Freunden, die im Notfall auch bereit sind, die Kinder aufzunehmen und großzuziehen.
„Die Tatsache – und das ist einfach so –, dass ich nicht erlebe, Großmutter zu werden, dass ich sie vielleicht noch nicht einmal so weit begleiten kann, bis sie wirklich alleine auf eigenen Beinen stehen – die macht mich traurig.“ Dass sie in ihren Kindern auch genetisch nicht weiterleben wird, findet Sylvia dagegen nicht schlimm. Ihr geht es nicht um die Gene, ihr geht es um die Kinder.
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