Samstag ist Welt-Frühgeborenen-Tag: Klein, zart und tapfer
Der Neonatologe Marian Eulitz am SRH-Klinikum in Gera. Foto: Christoph Beer
Ein Gespräch mit dem Neonatologen Marian Eulitz am SRH-Klinikum in Gera.
Gera. Am SRH-Waldklinikum in Gera sind in diesem Jahr bisher 457 Jungen und 400 Mädchen zur Welt gekommen. Rund 120 der Neugeborenen in jedem Jahr sind Frühchen. Am Universitätsklinikum Jena wurden in diesem Jahr 195 Frühgeborene gezählt. Das sind mehr als 14 Prozent der bisherigen 1295 Geburten in der Jenaer Klinik. Frühchen, also Kinder, die vor der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen, sind nicht nur klein, zart und tapfer, sie und ihre Familien bedürfen auch ganz besonderem Schutz und Aufmerksamkeit der gesamten Gesellschaft. Deshalb wurde der 17. November zum Welt-Frühgeborenen-Tag erklärt.
Herr Eulitz, gibt es tendenziell mehr oder weniger Frühgeborene als vor 20 Jahren?
Es gibt tendenziell mehr. Wesentlichste Ursache dafür ist zumeist das leicht höhere Durchschnittsalter der Mütter, wobei sich der Anstieg in den letzten zehn Jahren etwas verlangsamt hat. Durch die Möglichkeiten der Kinderwunschbehandlung bei Fertilitätsstörungen sind auch die Mehrlingsgeburten um 15 Prozent gestiegen.
Welchen Einfluss hat unsere hektische Zeit auf eine mögliche Frühgeburt?
Es sind eher soziale Faktoren die eine Rolle spielen, schwaches soziales Milieu, Arbeitslosigkeit, geringer Bildungsstand, Missbrauch von Alkohol und Drogen sowie das Rauchen spielen eine erhebliche Rolle. Aber auch Stress, zum Beispiel mit einem Hausbau, hat manchmal einen Einfluss. Andererseits bietet unsere schnelllebige Zeit auch neue Möglichkeiten, Informationen und Aufklärung über Risiken sind einfach verfügbar.
Sind Frühgeburten vorhersehbar?
Eine Frühgeburt ist teilweise vorhersehbar. Zumindest gibt es recht gut identifizierbare Risikofaktoren wie Infektionen im Bereich der Geburtswege, Veränderungen im mikrobiologischen Milieu der Geburtswege, Instabilität der Struktur des Muttermundes, vorzeitiger Blasensprung, Schwangerschaftsvergiftungen und natürlich Mehrlingsschwangerschaften. Ein gewisser Teil der Faktoren ist aber gut behandelbar.
Wie kann eine werdende Mutter dem entgegen wirken?
Durch eine stressarme Schwangerschaft, durch das Meiden von toxischen Substanzen, das Wahrnehmen der empfohlenen frauenärztlichen Vorsorgen. Bei absehbaren Risiken empfiehlt sich eine Anbindung an Perinatalzentren, das sind spezialisierte Kliniken mit Geburtshilfe und speziellen Kinderabteilungen, den Neonatologien.
Welche Risiken sind mit der Frühgeburt verbunden?
Abhängig von der Schwangerschaftsdauer nimmt zum Beispiel das Risiko von lungenbedingten Komplikationen ab der 34. Schwangerschaftswoche deutlich ab. Eine gewisse Unreife und Instabilität des Immunsystems mit dem Risiko schwerer Infektionen besteht bis Ende der Schwangerschaft, denn der sogenannte Nestschutz durch die Mutter ist nicht vollständig ausgebildet. Es kann zur verzögerten Kreislaufumstellung nach der Geburt kommen, außerdem haben Frühchen mitunter eine unreife Nierenfunktion und unreife Atemmuster mit Atemaussetzern.
Welche Langzeitfolgen bleiben?
Gefürchtetste Komplikationen sind höhergradige Hirnblutungen. Doch die sind in den letzten Jahren durch die Möglichkeiten des intensiven Monitorings deutlich weniger geworden. Als Folge können auch spastische Bewegungsstörungen oder Epilepsien auftreten. Lungenprobleme sind oft ausreichend behandelbar, manifestieren sich später aber oft als Asthma oder einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung. Es kann mitunter zu Ernährungsproblemen kommen. Später können gehäuft Erkrankungen des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom-Spektrum (ADHS) auftreten, auch Autismus-Spektrum-Störungen werden diskutiert, Augenprobleme insbesondere bei sehr unreifen Kindern.
Was macht eine Frühgeburt mit der Psyche der Mutter?
Eine Frühgeburt ist eine plötzliche Konfrontation mit Problemen, die nicht einkalkuliert waren, einhergehend mit Ängsten und Kontrollverlust. Medizinisch ist es eine plötzliche hormonelle und psychische Umstellung zu einem Zeitpunkt, den die Natur noch nicht dafür vorgesehen hatte. Die psychischen Probleme werden in den Geburtskliniken und Neonatologien durch geschulte Psychologen und Psychiater behandelt. Im Perinatalzentrum Gera beispielsweise hat sich die Kunsttherapie als sehr hilfreich erwiesen. Leider nur als Projekt ohne dauerhafte Finanzierung durch Abrechnungsstrukturen. Hilfe erfährt man auch über Selbsthilfeinitiativen. In Gera sind das beispielsweise die „Frühstarter“.
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